Keith Bowler &
James Rogers
spot light - surface space
23.07. - 28.08.2016 

von Julia Zinnbauer

Für James Rogers ist der Punkt in seiner Perfektion und Einfachheit die ideale Form und die Basis einer Werkserie, die er bereits in den späten Sechzigerjahren begonnen hat. Seit dieser Zeit hat sich der Maler, der seit einigen Jahren in Wuppertal lebt und arbeitet, der Minimal Art verschrieben und ist deren Prinzipien bis heute treu geblieben. Unter dem Titel „Spot Light – Surface & Space“ zeigt James Rogers zusammen mit dem Lichtkünstler Keith Bowler ab Juli 2016 einige seiner Ideen und Arbeiten in der Galerie GRÖLLE pass:projects in Wuppertal.


 

Der Punkt, das Konzept und das Raster
Was in James Rogers’ Werk auf den ersten Blick erscheinen mag, wie eine willkürlich mit farbigen Punkten bedeckte Fläche, zieht den Betrachter sofort in seinen Bann. Hinter den Farbfolgen der Punkte gilt es ein System zu entschlüsseln und durch die oft friesartige Anmutung von Rogers’ Arbeiten setzt sich der Rezipient sofort in Bewegung, geistig wie körperlich. Der Punkt hat nur eine Kante, betont Rogers, er wird einzig definiert durch seine Größe und seine Farbe, hinzu kommt der Abstand zwischen den einzelnen Elementen als architektonische Dimension. Damit bekennt sich der Maler ganz deutlich zur Minimal Art, die er während seines Studiums kennen gelernt und an deren Entwicklung in Europa er maßgeblich beteiligt war.

Bereits vor seinem Kunststudium an der St. Martin’s School of Art in London und an der University of Leicester hatte er als Typograph in der Londoner Werbeagentur B.B.D.O. gearbeitet. Der Bedeutung subtil gesetzter Zeichen und Details wie Abstand, Größe und dem Verhältnis einzelner Elemente zueinander war sich James Rogers also mehr als bewusst, als er im Jahr 1968 mit einer ersten Leinwandarbeit den Grundstein zu seinem vielteiligen Punkte-Zyklus legte, den er bis heute fortsetzt. Damals war er bereits als Dozent an der Wimbledon School of Art tätig, wo er einige Jahre später auch Keith Bowler unterrichten sollte, sowie Tony Cragg.

Dass Rogers sich heute nicht mehr im Besitz dieses allerersten Bildes befindet, stört ihn nicht. Ganz im Gegenteil: ein nüchterner, unsentimentaler künstlerischer Ansatz ist nur eine der vielen Eigenschaften, die Rogers’ Werk so deutlich der Minimal Art zuordnen. Hat der Künstler erst einmal ein Konzept formuliert, das alle Details seiner jeweiligen Arbeit beschreibt, dann kann er zu jeder Zeit an verschiedenen Stellen in sein System einsteigen und ein weiteres perfektes Exemplar der Serie malen – oder eine Variation davon.

Codierte Oberflächen
1968 war das Jahr, in dem ein anderer Minimalist jenseits des Atlantiks ebenfalls eine konzeptuelle Arbeit mit einer Eins markierte: Sol LeWitt fertigte in New York sein erstes Wall Drawing an und begann damit einen Werkzyklus, der schließlich aus mehr als tausend Arbeiten bestehen sollte. Auch wenn sowohl James Rogers als auch Sol LeWitt den Raum thematisieren und beide gerne direkt auf der Wand arbeiten, so ist Rogers’ Herangehensweise noch einmal eine ganz andere. Wo Sol LeWitt sich mit tragenden und lastenden Flächen auseinandersetzt und mittels Farbfeldern eine Art Dreidimensionalität erschafft, ist Rogers’ Ansatz eher der der Sprache.

Für den Typographen und Maler James Rogers hatte das Raster Ende der Sechzigerjahre die Bildkomposition längst abgelöst. In einer Zeit, in der der Lochkartencomputer den Fortschritt in vielerlei Hinsicht beförderte, man damit Flugbahnen zum Mond und die kühnsten architektonischen Konstruktionen berechnen konnte, ließ sich mittels ausgestanzter Löcher jegliche Art von Information transportieren, codieren und transcodieren. Und so, wie man durch das bloße Anschauen eines Lochkartenbandes nie das Geheimnis hinter der Verteilung der ausgestanzten Löcher erschließen kann, so wird man auch James Rogers Arbeiten nie ganz decodieren können. Dennoch lassen sie sich als eine abstrahierte Form von Sprache und Schrift begreifen. Durch den rhythmischen Verlauf der Punkte ziehen Rogers’ querformatige Leinwände und Wandbilder den Betrachter so sehr in ihren Bann, dass man ihnen automatisch durch den Raum folgt. Die vier Meter breite Wandarbeit, die der Maler unter dem Titel „Coded Surface“ eigens für die Ausstellung in der Galerie GRÖLLE pass:projects anfertigt, wird ein eindrückliches Beispiel für James Rogers’ Konzept abgeben.

 Minimal Art in Amerika und Europa
Gerne wird behauptet, dass die Minimal Art mit ihrem Streben nach Vereinfachung und Direktheit und dem Ziel, daraus Möglichkeiten der ästhetischen Komplexität zu entwickeln, eine amerikanische Erfindung sei. Jedoch herrschte auch unter europäischen Künstlern nach den Wirren des Zweiten Weltkriegs eine Sehnsucht nach Klarheit, Rationalität und Abstraktion. Im Rheinland propagierte die ZERO-Gruppe um Heinz Mack, Otto Piene und Günther Uecker mit einer Vereinfachung der Formensprache und dem Eliminieren der Bildkomposition eine selbst-referentielle Kunst, die sich auf nichts beziehen sollte, das außerhalb ihrer selbst lag. Sie experimentierten mit monochromen Rasterbildern und ausgestanzten Schablonen und im Zuge der Wiederentdeckung der Russischen Konstruktivisten und Suprematisten präsentierte das Museum Morsbroich in Leverkusen bereits 1962 Kasimir Malewitsch und kurz darauf die ZERO-Gruppe. Die Ideen der Amerikanischen Minimal Art fielen also durchaus auf fruchtbaren Boden, als Konrad Fischer in Düsseldorf 1967 seine Galerie mit einer Ausstellung von Carl Andre eröffnete und wenig später im brutalistischen Gebäude der Kunsthalle Düsseldorf Werke von Dan Flavin, Donald Judd, Sol LeWitt, Richard Long, Frank Stella und anderen gezeigt wurden. In London konzentriert sich seit dieser Zeit die Lisson Gallery auf den Minimalismus. Sol LeWitt stellte dort von Anfang an aus und so lernte er schließlich auch James Rogers kennen, der von 1982 bis 1987 stellvertretender Leiter der Galerie war.

James Rogers und Sol LeWitt
Zu LeWitts Konzept gehörte es unter anderem, dass er seine Wall Drawings durch einen so genannten „draughtsman“ anfertigen ließ, der sich zwar einerseits genau an den dem Werk zugrundeliegenden Plan halten, andererseits aber auch sein eigenes Wissen und Können als Künstler mit in das jeweilige Wandbild einfließen lassen sollte. In James Rogers muss er wohl mehr als den idealen „draughtsman“ gefunden haben, denn bei allen Unterschieden der künstlerischen Herangehensweise, sind sich beide in ihrem Perfektionismus und in den Fragen des Seriellen, des Temporären, der Reproduzierbarkeit, im Umgang mit der Wand und dem Raum durchaus verwandt, bis hin zu der Tatsache, dass es beiden gelingt, durch die Strenge und Klarheit ihres Werks den Betrachter intellektuell und emotional in Bewegung zu versetzen.

Keith Bowler: Licht und Architektur
Dieses geistige Mittun des Betrachters lässt sich durchaus auf die Idee von Marcel Duchamps aus dem Jahr 1957 beziehen, die besagt, dass der kreative Akt im Lauf der Zeit vom Künstler zum Rezipienten übergegangen sei. Ein Gemälde vom Erfinder des Readymades Duchamps ist auch der Ausgangspunkt zweier Gruppenausstellungen in Leeds und London, die Keith Bowler kürzlich kuratiert hat und an denen sowohl er als auch Rogers beteiligt waren. Somit ist es bei GRÖLLE pass:projects nicht das erste Mal, dass die beiden Britischen Künstler gemeinsam ihre Arbeiten zeigen. Auch die Stadt Wuppertal ist dem in London lebenden Bowler nicht fremd. Schon 2005 leitete er im Rahmen der minimalistischen und zugleich sehr atmosphärischen Lichtinstallation „Zwanzig Ellen“ einen Laserstrahl durch den gesamten Weyerbusch-Turm, bis das grüne Licht sich in der Dunkelheit des Waldes verlor. Das Motiv des auf den ersten Blick Einfachen, das beim Betrachter jedoch sofort das Bedürfnis weckt, hinter das Geheimnis der Arbeit zu kommen, findet sich im Werk von James Rogers, aber auch in den Installationen und Fotografien von Keith Bowler. Wie ist beispielsweise das Bild entstanden, das einen riesigen, dreieinhalb Meter langen, schwarzen Streifen zeigt und das ebenfalls bei GRÖLLE pass:projects zu sehen sein wird? Die Geschichte dazu führt uns an das südliche Ufer der Themse, an die South Banks, wo Keith Bowler im Jahr 2006 seine Installation „Skylight“ schuf.

Skylight – Die Lichtinstallation als Kamera und Dunkelkammer
Nach seinem Studium an der Wimbledon School of Art bei James Rogers in den Siebzigerjahren hatte Bowler zunächst skulptural gearbeitet, um seine Objekte dann, ganz im Sinne der Landart, in den Stadtraum hinein zu erweitern. Das Licht in seiner reinen Immaterialität spielt bei Bowler seit den Neunzigerjahren eine Rolle, so wie auch die Architektur ein entscheidender Ausgangspunkt seiner Projekte wurde. „Skylight“ ist der Name einer Installation, die im Heizraum einer leerstehenden Lagerhalle an der Themse entstand. Das Licht, das einzig durch ein kleines Loch in die Dunkelheit des Heizraumes drang, intensivierte Bowler, indem er einen sich verjüngenden Stahlschaft anfertigen ließ. Auf diese Weise bildete sich in der Mitte des Raumes ein geheimnisvoll strahlender Lichtball, der mal vom Sonnenlicht gespeist wurde und mal vom Mondlicht und von den tausendfach reflektierten Lichtern Londons. Einerseits schuf Bowler einen mysteriösen Ort, der die Besucher durch seine geheimnisvolle Atmosphäre in eine weihevolle Stimmung versetzte – weit entfernt von der ursprünglichen Nutzung des unterirdischen Raums. Andererseits bannte Bowler das eingefangene Licht als eine Art Fotogramm auf Papier, das er direkt vor Ort entwickelte. Das erste Bild, das er so erzeugte, war ein großer schwarzer Punk, eher ein Blob, der in seiner Materialität und Masse und wegen seiner ungewöhnlichen Entstehungsgeschichte eine ganz merkwürdige Präsenz ausstrahlte. Mit Hilfe des einen Kunstwerks hatte Keith Bowler ein weiteres geschaffen, die Lichtinstallation hatte als Kamera und Dunkelkammer zugleich gedient. Für das imposante, schwarze, dreieinhalb Meter lange Band, das im Rahmen der Ausstellung „Spot Light – Surface & Space“ zu sehen sein wird, hat der Künstler eine ganze Fotopapier-Bahn unter der Lichtöffnung entlang gezogen. Seit einiger Zeit widmet sich Bowler nun jedoch wieder kleineren Maßstäben. Er baut beleuchtete Objekte, die durchaus Architekturmodelle für weitere Installationen sein könnten, und kehrt damit zu seinem Ursprung als Bildhauer zurück. Mit einigen Exemplaren aus der ganz aktuellen Serie „Short Suite“ wird Bowler ebenfalls in der Galerie Grölle vertreten sein.

Für zwei Künstler, in deren Werk der Bezug zum Raum, zur Bewegung, zum Licht und zu der Zeit von so großer Bedeutung ist, wird der Galerieraum von GRÖLLE pass:projects der ideale Ort für ein Zusammentreffen sein. Analog zu den schwarzen und bunten Streifen und Punkten setzt sich vor den Fenstern der Galerie das Gerüst der Schwebebahn als riesiges Raster bis weit in die Ferne fort. Die Schwebebahn selbst rauscht in ihrem ganz eigenen Rhythmus über der Galerie hinweg und folgt dem glitzernden Verlauf der Wupper. Als traditionelle Metropole der Bandweberei und des lochkartengesteuerten Webstuhls, bei dem das Raster als Informationssystem sowie das Serielle, Fortlaufende eine so große Rolle spielen, wird Wuppertal der Kunst von James Rogers und Keith Bowler im Juli einen großartigen Empfang bereiten.

Julia Zinnbauer